Wenn die Frauen auf Europa schauen

Post aus Brüssel

Ich rede so gerne mit Frauen darüber, wie sie sich denn Europa vorstellen. Was ist ihnen wichtig? Was soll anders, besser werden? Die Frauen sind oft jung, lernen einen Beruf, sind Schülerinnen, Studentinnen. Sie sind Arbeiterinnen und Angestellte, auch Arbeitslose, manche sind älter, bereits in Pension, andere stehen wie ich noch im Beruf. Sie haben Familien, Kinder oder nicht, Partner*innen oder nicht, leben alleine oder in Wohngemeinschaften. Heute, zum Europatag 2024, will ich ein wenig von diesen vielen bunten, coolen, klugen Frauen und meinen Gesprächen mit ihnen erzählen. Ich habe gesehen, dass sie sehr genau hinschauen, hinhören, nachdenken und vordenken, mit Witz, Wissen und Weisheit. Zum Europatag 2024 gratuliere ich all diesen wunderbaren Frauen, Kolleginnen, Freundinnen, Schwestern. Wir brauchen ein Europa, das auf die Frauen schaut. Aber noch mehr brauchen wir ganz viele Frauen, die auf Europa schauen.


Frieden und Demokratie

Das Thema, das häufig als erstes genannt wird, ist der Krieg, nicht nur in der Ukraine, im Nahen Osten oder sonst wo auf der Welt. Eine junge Angestellte aus Wien, Julia, hat dazu folgende Idee: „Europa muss darauf schauen, das die UNO wieder mehr für den Frieden tun kann, ich will keine europäische Armee, ich will ein EU-Friedenscorps.“ Und ihre Freundin Hannah ergänzt: „Mir ist aufgefallen, dass meistens nur Männer über Sicherheits- und Verteidigungspolitik reden, ich finde, da müssen auch Frauen dabei sein, und über den Frieden verhandeln“ Das finde ich auch.

Eng damit im Zusammenhang finden viele meiner Gesprächspartnerinnen, dass es zu wenig Frauen in der Politik gibt. Annelies aus Brüssel hat da immer die aktuellen Zahlen parat: „Nicht einmal 16 Prozent der Rathäuser oder Gemeindeämter in Europa werden von Bürgermeisterinnen geleitet,“ empört sie sich, „wie soll denn das eine echte Demokratie sein, wenn nur die Männer bestimmen?“. Nur verpflichtende Quoten für alle Parteilisten, wie in Frankreich, können das ändern, „die Männer müssen nicht nett zu uns sein und uns tüchtig und charmant finden, es geht nur mit echten, rechtlich verbindlichen Regeln“. Das finde ich auch.


Frauenrechte sind Menschenrechte

Ganz wichtig ist vielen die Frage, wie wir in Europa mit Menschen auf der Flucht umgehen. „Für mich ist jedes Mal ein schrecklicher Schock, wenn ich sehe, dass wieder Menschen im Mittelmeer ertrunken sind,“ sagt Therese, eine 60jährige Pensionistin aus dem Waldviertel. „Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass viele schon abgestumpft sind, und es wird viel zu wenig gegen kriminelle Schlepper getan,“ bedauert sie noch. Bis jemand Asyl bekommt, können Jahre vergehen, es sollte hier gemeinsame Regeln geben, die in der ganzen EU gleich gelten, und „außerdem muss mehr für die Integration getan werden,“ schließt sich Melita an. Das finde ich auch.

Cécile, eine Sozialwissenschafterin aus Paris, hat gute Nachrichten für mich: in Frankreich wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankert. „Das ist deshalb so wichtig, weil damit Abtreibung als Straftatbestand gestrichen wurde. So sind die Frauen geschützt und die Ärzt*innen sicher,“ erklärt sie. Und Sonja aus Ljubljana erzählt, dass slowenische Frauenorganisationen nun die europäische Bürger*innen-Initiative #MyVoiceMyChoice gestartet haben, mit der das Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf EU-Ebene eingefordert wird. „Denn es darf weder innerhalb Österreichs noch quer durch Europa vom Wohnsitz abhängen, dass Frauen selbst über ihren Körper bestimmen,“ sagt sie. Das finde ich auch.


Ein gutes Leben für alle geht nur mit Gerechtigkeit

Apropos Wohnen: die Tochter meiner Freundin Stephanie aus München hat Glück gehabt, und eine Genossenschaftswohnung gefunden, als sie zu studieren begann. Aber europaweit sagen drei von vier Bürger*innen, dass die steigenden Wohnkosten sie ungemein belasten. Sie haben Angst, wie lange sie sich das noch leisten können. Elena, eine langjährige Arbeitskollegin aus der Slowakei, weist darauf hin, dass viele Frauen bereits Abstriche beim Wohnen machen müssen. „Wenn das Wohnen nicht leistbar ist, trifft es immer die Frauen am stärksten, denk nur an die Einkommensdifferenz und noch mehr an die Unterschiede bei den Pensionen,“ sagt sie. Investitionen ins leistbare Wohnen und ein starker Schutzschirm der EU vor Spekulationen sind ganz wichtig für die Frauen, v.a. als Alleinerzieherinnen oder Pensionistinnen. Das finde ich auch.

Gerechtigkeit in der Arbeitswelt, aber auch bei der unbezahlbaren Familienarbeit, ist natürlich immer untern den Top-Themen, auch bei Melanie aus Berlin: „Es ist doch verrückt, wenn du jung bist, fragen sie dich, ob du Kinder haben willst, dann lassen sie dich wegen der Kinder nicht an die spannenden Projekte ran und am Ende kannst du dir noch anhören, dass du dich nicht genug für den nächsten Karriereschritt engagiert hast. Da kannst du doch nur zornig werden!“ Das finde ich auch.

Noch viel mehr Themen bewegen die Frauen, mit denen ich geredet habe, ihre Gesundheit, die ihrer Familien, der „mental load“, Klima- und Naturschutz, Forschung und Entwicklung, wie frau eine Firma gründet oder ein Geschäft eröffnet. Allen ist gemeinsam, dass sie stets an andere Menschen und ihr Wohlbefinden denken.

Let’s talk

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