Erinnerung an die EU-Volksabstimmung vor 20 Jahren
Wenn wir im Licht der Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament 2014 zurück durch die Zeit reisen, und uns die Stimmung vor zwanzig Jahren in Erinnerung rufen, daran sehen, mit wieviel positiver Energie das europäische Projekt damals im Vergleich zu heute aufgeladen war, stellen wir auch fest, wie sehr sich doch manche Bilder gleichen. Das geht bis zu den Briefmarken, die die österreichische Post damals zum EU-Beitritt ausgab und die es heuer aus Anlass des zwanzigsten Jahrestags der Volksabstimung erneut gibt. Eine solche Rückschau muss natürlich ebenso Anlass für einige Feststellungen sein, im Hinblick auf die Verfasstheit von Europa heute und darauf, wie ein progressives Veränderungsprojekt für die Zukunft aussehen kann. Doch dazu an anderer Stelle, jetzt lade ich Sie einmal zu einer kleinen Zeitreise ein.
Einladung zu einer Reise zurück in die Zeit
Vor 20 Jahren war Helmut Zilk noch Wiener Bürgermeister, Franz Vranitzky österreichischer Bundeskanzler. Thomas Klestil Bundespräsident. Brigitte Ederer war als EU-Staatssekretärin, Alois Mock als Außenminister für die Vorbereitung des EU-Beitritts Österreichs verantwortlich. Johanna Dohnal war damals Frauenministerin, by the way. Claus Peymann war im Burgtheater Direktor, Ioan Holender in der Oper. Ich hatte Anfang 1992 bei der Stadt Wien zu arbeiten begonnen und war 1994 bereits zwei Jahre Pressesprecherin des Wiener Wohnbaustadtrats Rudolf Edlinger. Und ich stand noch stark unter dem Eindruck eines einjährigen Praktikums, das ich bis 1991 in der EU-Kommission in Brüssel verbracht hatte.
Wiener Europagespräche der SPÖ: Parteiinterne Mobilisierung
So lebte ich einerseits in einem kommunalpolitischen Alltag, der von sanfter Stadterneuerung, Sockel- und Blocksanierung, Gebietsbetreuung, Mietrechtsreform, ökologischer Stadtgestaltung, feministischer Architektur und ähnlichen Themen geprägt war. Ich kannte fast jeden Gemeindebau in Wien und liebte Baustellenbesuche, zu denen es oft Gelegenheit gab. Wie stolz wir damals auf die Bau- und Sanierungstätigkeit in der Stadt waren! Immerhin bauten wir neue Wohnungen, machten alte besser und damit die Stadt schöner, sorgten so auch für Arbeitsplätze. Andererseits wollte ich mich natürlich daran beteiligen, Österreich in die EU zu bringen. Deswegen half ich in der Wiener SPÖ mit, viele FunktionärInnen und MandatarInnen in einer sehr intensiven parteiinternen Kampagne von den Vorteilen eines Beitritts Österreichs zur EU zu überzeugen. Wir waren auf Studienreise nach Brüssel gefahren, hatten „Wiener Europa-Gespräche“ organisiert, viele Diskussionen in den Sektionen und Bezirken geführt. Es war eine spannende Zeit, mit vielen Debatten und Informationen, oft sachlich, oft jedoch auch – so wie heute immer noch, Déjà-vu lass grüßen – mit allerlei Mythen, Polemik und Bigotterie gespickt.
Politische Kampagnen. Wie sich manche Bilder gleichen.
Die SPÖ hatte 1989 einen Beschluss für einen EU-Beitritt gefasst, die ÖVP war ja eh schon immer pro-europäisch, musste aber ebenfalls Überzeugungsarbeit leisten. Nach dem „Brief nach Bruessel“ 1989 waren die Verhandlungen angelaufen. In der intensiven Kampagnenzeit vor der Volksabstimmung erhielten SPÖ und ÖVP von der Kronen-Zeitung starke Rückenwind (das haben wir seither nicht mehr so gesehen), Die Grünen waren vor der Volksabstimmung gegen den Beitritt, danach dafür, und die FPÖ hat ihre Anti-Europa-Linie seit damals immer wieder nach dem gleichen Muster mit nur geringen Variationen aufgewärmt. Aus dem Themenkanon dieser Zeit sind wohl den meisten noch die Diskussionen um die Abschaffung der Neutralität, Butterberge und Milchseen, den „Ederer-Tausender“, und ebenso recht viel Gedöns´ um die Chancen für die Wirtschaft, die ArbeitnehmerInnen, die Jugend usw. in Erinnerung.
Zwei Drittel sagen „JA“
„Soll der Gesetzesbeschluß des Nationalrates vom 5. Mai 1994 über das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Gesetzeskraft erlangen?“, so lautete die Frage, die die Österreicherinnen und Österreicher dann am 12. Juni 1994 gestellt wurde. Bei einer Wahlbeteiligung von 82,5 Prozent entschieden zwei Drittel (66,6 %) der Österreicherinnen und Österreicher, sich dem europäischen Projekt anzuschließen. Übrigens: die höchste Zustimmung zum EU-Beitritt gab es im Burgenland mit fast drei Viertel „Ja“-Stimmen, die geringste in Tirol mit 57 Prozent. Wer schnell noch einmal die Ergebnisse der Bundesländer im Überblick sehen will, kann hier nachlesen.
Den Schritt taten wir nicht alleine, sondern gemeinsam mit Schweden und Finnland. In Norwegen hingegen gab es eine knappe Mehrheit gegen den EU-Beitritt. Damit war die „EFTA“-Erweiterung der EU von zuvor 12 auf danach 15 Mitgliedstaaten mit 1.1.1995 wirksam. Kommissionspräsident war damals übrigens Jacques Delors, der mit dem nach ihm benannten Plan die im Vertrag von Maastricht 1992 eingeleitete Wirtschafts- und Währungsunion vorbereitet hatte. Das Ergebnis dieser Volksabstimmung gibt es immer noch in einer ausführlichen Dokumentation auf der Seite des Innenministeriums als Download. Es gab den vielen Befürworterinnen und Befürwortern tatsächlich Grund, zu feiern. Unvergesslich die Szene, als Wissenschaftsminister Erhard Busek im Zelt vor der Parteizentrale in der Löwelstraße die „Internationale“ sang. Leider habe ich dazu keine Bild- oder (noch besser) Tondokumente gefunden.
Zwei Männer unterschreiben einen Vertrag, eine Frau bereitet ihn vor.
Knapp zwei Wochen danach, einen Tag vor meinem Geburtstag, wurde der Beitrittsvertrag dann beim EU-Gipfel in Korfu in Griechenland am 24. Juni 1994 unterschrieben. Und zwar von zwei Männern – dem Kanzler und dem Außenminister, obwohl eine Frau, Brigitte Ederer, auf politischer Ebene einen ebenso wesentlichen Anteil an den gelungenen Beitrittsverhandlungen hatte. Sie war seit April 1992 EU-Staatssekretärin im Bundeskanzleramt und hatte den sogenannten „Acquis communautaire“, also die Umsetzung des EU-Rechts in Österreich, vorbereitet. Ich habe es immer als unsagbare Demütigung empfunden, dass jener Frau, die tatsächlich durch Verve, Verhandlungsgeschick und einen starken Willen diese staatspolitische Entscheidung maßgeblich vorbereitet hatte, diese Ehre verwehrt wurde.
Sie hat sich mit dem „Ederer-Tausender“ (das wären 1.000 Schilling, die sich eine vierköpfige Familien aufgrund der Senkung der Lebenshaltungskosten durch den EU-Beitritt ersparen könnte) in der Folge viel von dem Unmut zugezogen, der eigentlich allen oder keinem/keiner der Beteiligten von damals gebührt hat. 10 Jahre später gab ihr eine Studie der Österreichischen Nationalbank Recht, nach der jede Österreicherin und jeder Österreicher durch den EU-Beitritt unseres Landes zwischen 700 bis 5.000 Euro pro Jahr profitiert hat. Es zeugt von innerer Größe, dass sie sich dann einfach über die Früchte ihrer Arbeit freuen und weitermachen konnte. Chapeau!
Auf der Homepage des Österreichischen Parlaments gibt es übrigens eine Chronologie der Beziehungen Österreich – EWG/EU.
Es hat einfach Freude gemacht, für den EU-Beitritt zu werben
Es hat viel positive Energie freigesetzt, diese Zeit bewusst zu erleben, diese Bewegung mitzutragen, in ihr mitzulaufen. Denn erstens war es ja ein gutes, ein richtiges, ein klares Ziel. Und zweitens haben wir alle gemeinsam, wie am Ergebnis abzusehen war, tatsächlich eine Mehrheit für das erreicht, das wir wollten. Bei aller Differenziertheit in den Positionen. Gewinnen ist halt schon schön. Es war das letzte Mal, dass SPÖ und ÖVP sich in einem derart klaren Schulterschluss für ein gemeinsames Ziel des Landes eingesetzt haben. Dass dieses Momentum nicht aufrecht erhalten werden konnte und dann immer wieder nur punktuell, bei Europawahlen, als es 2000 die „EU-Sanktionen“ gab, über Europa gesprochen wurde, liegt vielleicht auch daran, dass wir einfach wieder „zur Tagesordnung“ übergegangen sind, ohne zu verinnerlichen, dass ab 1.1.1995 unser politisches Spielfeld um eine Dimension erweitert wurde. Und die haben wir den SpezialistInnen überlassen und den Eliten und so die Indifferenz gegenüber Europa noch verstärkt, die vor zwei Wochen mit einem Fernbleiben von mehr als der Hälfte der Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl deutlich wurde. Aus der Zeit damals aber sollten wir uns aber die Freude mitnehmen, die es machen kann, Europa zu gestalten. Und öfter mal unsere Europahymne hören.