Fünf Jahre als Chefin des Wien-Hauses in Brüssel

Heute vor genau fünf Jahren wurde ich Chefin des Wien-Hauses, richtig „Leiterin des Verbindungsbüros der Stadt Wien zur Europäischen Union“, in Brüssel. Das wollte ich, das hatte ich gut vorbereitet. Karriere fällt eben nicht vom Himmel, schon gar nicht für die Frauen. Und nun bin ich ein paar Jahre älter, um viele Erfahrungen reicher, habe neue Freundinnen und Freunde gefunden. Meine Familie ist größer geworden, und sie ist europäisch.
Die Arbeit macht Freude und hat Sinn

Was war ich die ersten beiden Jahre von der Fülle und Dichte an Informationen, die jeden Tag auf mich einströmten, nachgerade einschlugen, überwältigt! Was ist wichtig, was Nebensache, was kann ich vergessen? Nie werde ich den wunderbaren Moment vergessen, als mir der sprichwörtliche „Knopf“ aufging. Als ich an einem Sommerabend in meinem Garten saß und sich in einem intensiven Augenblick der Erkenntnis, die genauso gedacht wie gefühlt war, alles zu einem Ganzen zusammenfügte. Wie in einem dreidimensionalen und um die Ebene der Zeit erweiterten Puzzle. Alle Teile fanden ihren Platz und hatten plötzlich einen Sinn. Die Synapsen zwischen dem europäischen Aktionsfeld und der Heimatbasis in Wien waren ab da fest miteinander verbunden.
Routine hilft, und das Gefühl, in Europa zuhause zu sein

Heute ist vieles Routine. Es wiederholt sich jetzt etwas, mit der neuen Architektur des Europäischen Parlamentes, den Personalentscheidungen für die Europäische Kommission, dem Spiel der Mitgliedstaaten. 2009 war es fast genauso, nur konnte ich vieles noch nicht vollständig erfassen. Heute weiß ich viel besser, wie es läuft. Es gefällt mir, dass ich die Mechanik Europas jetzt erklären kann in ihren Zusammenhängen und Auswirkungen. Nicht nur mir, sondern auch anderen, für die das nützlich und wichtig ist, oder die daraus lernen wollen.
Dabei geholfen haben mir viele Menschen. Das wunderbare Team im Wien-Haus. Die vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländer- und Städte- und Regionalbüros. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den EU-Institutionen, der Botschaften, Organisationen, Netzwerke, Verbände, Sozialpartner und noch viele mehr. Sie haben mich vor fünf Jahren mit offenen Armen willkommen geheißen. Viele von ihnen sind heute Freundinnen und Freunde, mehr noch: Familie. Und zwar eine große, europäische Familie. Sie hat mir in persönlichen Krisenzeiten genauso geholfen wie beim Entwickeln von gemeinsamen Strategien und Mitmischen in der europäischen Agenda. Das lädt immer wieder die Batterien auf.
Smarte, urbane Lebensräume mit hoher Alltagsqualität für alle

Die Themen, an denen ich arbeite, wiederholen sich. Nicht zuletzt, weil wir jetzt, nach fünf Jahren, nach den Wahlen zum Europäischen Parlament, einen neuen Zyklus beginnen. Und einige Inhalte ziehen sich als Kompass ohnehin laufend durch meinen beruflichen Alltag. Daseinsvorsorge, öffentliche Dienste, kommunale Finanzen. Städtepolitik, smarte, urbane Lebensräume mit hoher Alltagsqualität und sozialem Augenmerk. Weltladen EU, TTIP & Co., Menschenrechte – Städte sind als Orte der Verdichtung internationaler Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Migration von globalen Entwicklungen besonders betroffen. Und immer wieder: Frauen sichtbar machen. Hier ist noch viel zu tun, inhaltlich und in der Methode. Demokratie zu leben bedeutet, die Gleichsteillung der Geschlechter voranzutreiben.
Alles, was ich in den Jahren vor und in Brüssel gelernt habe, verbindet sich zu einem Amalgam aus Empathie, Erfahrung und Routine. Denn natürlich ist es der starken Binnenmarktorientierung der Europäschen Union zu danken, dass wir stets aufs Neue an den gleichen Themen arbeiten. Da ist das 3. Eisenbahnpaket noch nicht umgesetzt, und schon kommt ein 4. Paket daher. Da denkst du, die Subsidiarität ist gesichert und verankert im Vertrag von Lissabon, und – Schwupps! – eine Attacke nach der anderen auf den sozialen Wohnbau. Da reden viele von „Das Schlimmste ist doch überstanden bei der Krise“, aber die Konjunktur springt seltsamer Weise nicht an. Ohne mehr Möglichkeiten, zu investieren, sei es als Privatpersonen, als Unternehmen oder öffentliche Institutionen, gar Staaten, kann es keine nachhaltige Entwicklung geben.
Inspiration von den Menschen, für die ich arbeiten darf

Inspiration kommt von vielen Menschen. Sonst ginge das alles nicht. Ganz wichtig sind jene, für die und mit denen ich arbeiten darf: die 1,8 Millionen Menschen in Wien. Sie haben ein Recht auf ein angenehmes, schönes Leben. Darauf, sicher und gut zu wohnen, zu arbeiten, sich zu entwickeln und zufrieden zu sein. Darum geht es letztlich bei meiner Arbeit: diese Lebenschancen im europäischen Kontext weiterzuentwickeln, manchmal besser abzusichern, manchmal zu verteidigen. Das macht Freude und lässt mich jeden Tag etwas Neues lernen. Dafür bin ich sehr dankbar. Und freue mich auf mehr davon.
Mehr zum „Wien-Haus in Brüssel“ finden Sie hier.
(c) Courtesy for the nice pictures to Julie de Bellaing/Wien-Haus Brüssel, Harold Naaijer/Graz, Ermeson Vieira/Brüssel.