Das Thema „Leistbares Wohnen für alle“ ist in der EU angekommen

Die Österreichische Gemeindezeitung hat im Sommer 2021 meinen Beitrag zum Stand der Dinge der Wohnungspolitik in der EU veröffentlicht.

Lange Zeit hat die EU das Thema Wohnen mangels Zuständigkeit vernachlässigt, doch seit einigen Jahren und noch stärker in den vergangenen Monaten hat sich das geändert. Leistbares Wohnen für alle ist auf der europäischen Tagesordnung. Schon lange gab es die Forderung, die EU müsse hier liefern – von Wohnbaugenossenschaften, Mieterorganisationen und nicht zuletzt von den Städten. 2013 wiesen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Europa darauf hin, dass EU-Regelwerke ihre Handlungsoptionen für eine gute Wohnversorgung ihrer Bevölkerungen negativ beeinflussen. Eine damals von Wiens Bürgermeister Michael Häupl und Wohnbaustadtrat Michael Ludwig getragene Resolution forderte dringend eine Reform des EU-Beihilfenrechts, das öffentliche Investitionen in soziales Wohnen nur für eine sehr eingeschränkte Zielgruppe erlaubt. Ebenso wurden immer wieder bessere Rahmenbedingungen für öffentlichen Investitionen im Europäischen Semester gefordert. Im Jänner 2021 hat nun das Europäische Parlament einen umfassenden Bericht zum Zugang zu angemessenem und leistbaren Wohnraum mit einer soliden Mehrheit beschlossen, der diese Forderungen aufgreift (siehe Kasten). Kurz darauf nahm Frans Timmermans, 1. Vizepräsident der Europäischen Kommission, bei einer wohnungspolitischen Konferenz dezidiert auf das Wiener Modell des sozialen Wohnens Bezug, als er meinte: „soziale Wohnungspolitik darf sich nicht nur an die Ärmsten richten, sondern muss auch für den Mittelstand etwas tun.“

Die Wohnungskrise in Europa beruht auf einer Kombination von massiv gesunkenen Investitionen, steigenden Wohnkosten, stagnierenden Haushaltseinkommen und einer extremen Zunahme von Spekulation, touristischen Nutzungen und gar krimineller Geldwäsche bei Immobilientransaktionen. Diese angespannte führt zu Diskriminierung von sozial schwachen Gruppen, gar zur Kriminalisierung von wohnungslosen Menschen. Dazu kommt der enorme Renovierungsbedarf in Europas Gebäudebestand, um die Klimaziele zu erreichen. Und letztlich geht es nicht nur um die Qualität der vier Wände und des Dachs über dem Kopf, sondern darum, Stadtteile lebenswert zu gestalten. Nur: Woher sollen die Mittel dafür kommen? Wie sollen sich Städte vor international agierenden Hedgefonds schützen? Vieles ist auf nationaler, einige zentrale Herausforderungen sind jedoch nur noch auf europäischer Ebene anzupacken.

Einen ersten Meilenstein in der Erhöhung der Aufmerksamkeit gab es 2016, als der Rat der EU eine „Städtische Agenda für die EU“ beschloss und das Wohnungswesen zu einem der ersten Themen, das dringend bearbeitet werden muss, bestimmte. Damit wurde anerkannt, dass der Rechtsbestand der Union tatsächlich eine so starke Wirkung auf die lokalen und nationalen Wohnungssysteme hat, dass Anpassungen ins Auge notwendig sind. Die von Wien gemeinsame mit der Slowakei koordinierte Städtepartnerschaft Wohnen legte nach dreijähriger Arbeit Ende 2018 eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch, wie durch Änderungen im EU-Regelwerk den Mitgliedstaaten und vor allem den Regionen und Städten mehr Spielräume gegeben werden könnten, um mehr ins soziale und leistbare Wohnen zu investieren und ihre Wohnungspolitiken sozial, ökologisch und finanziell nachhaltig zu gestalten.

Insgesamt sind EU-weit die Investitionen in leistbares Wohnen seit 2008/2009 dramatisch – um rund 57 Milliarden Euro pro Jahr – zurückgegangen. Dieser Rückgang bedingt ein geringeres Angebot und damit steigende Preise, vor allem, aber nicht nur, in den Städten. Zentral werden daher alle Maßnahmen erachtet, die helfen, den langjährigen Investitionsrückstau abzubauen. Nicht nur die Renovierung im Sinne der Klimaziele, sondern auch der Neubau müssen europaweit forciert werden. Diese Investitionshemmnisse liegen vor allem im EU-Beihilfenrecht und im Europäischen Semester. Ein vereinfachtes Verfahren zur Nutzung der Investitionsklausel im Europäischen Semester für Wohnbauprojekte ist ein Ansatz. Ein anderer, im „Sozialen Scoreboard“, dem Messinstrument für die Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte, einen Indikator für sozialen und bezahlbaren Wohnraum zu setzen, der der sozioökonomischen Situation der EU-BürgerInnen besser Rechnung trägt: mit einer Referenzschwelle für die gesamten Wohnkosten, die nicht mehr als 25 Prozent des verfügbaren Einkommens eines Haushalts ausmacht.

Eine weitere Blockade gilt es im EU- Beihilfenrecht aufzulösen, denn die geltenden Regeln führen zu großer Rechtsunsicherheit in Bezug auf öffentliche Investitionen in leistbaren Wohnraum. Grund dafür ist die Definition einer sehr eng eingegrenzten Zielgruppe des sozialen Wohnbaus. Das widerspricht nach Ansicht vieler nicht nur dem Subsidiaritätsprinzip, sondern hat Klagen institutioneller Immobilieninvestoren eine Grundlage geboten, mit denen gewachsene Wohnbauförderungssysteme ganzer Länder unterminiert wurden. Das Wettbewerbsrecht verhindert ebenso öffentliche Sanierungsmaßnahmen in den post-kommunistischen Ländern; dort ist der Wohnungsbestand nach dem Verkauf an die vormaligen MieterInnen in einem sehr schlechten Zustand. Daher empfehlen zahlreiche ExpertInnen, Verbände und Städte schon lange, diese enge Definition der Zielgruppe im Beihilfenrecht ersatzlos zu streichen. Dieser Empfehlung schlossen sich 2017 der Europäische Ausschuss der Regionen, 2019 der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und im Jänner 2021 auch das Europäische Parlament an – damit wird der Druck auf die Europäische Kommission weiter verstärkt, die endlich eine Evaluierung des Beihilfenrechts in Auftrag gegeben hat.

Heute. 2021, ist klar:  Durch die Corona-Krise und den allerorten verordneten Lock-down wurde Wohnen ganz klar zur ersten Verteidigungslinie gegen die Pandemie, wurden die eigenen vier Wände für die Menschen zum Mini-Universum, in dem sich das ganze Leben abspielte – Arbeiten, Erziehen, Pflegen, Schlafen, Spielen, … Die Krise zeigte allerdings sehr brutal auf, wie fragil es um die Leistbarkeit und Sicherheit des Wohnens steht, wenn Kurzarbeit, Jobverlust und mangelnde soziale Absicherung das Haushaltseinkommen auf einen Schlag verringern. Darauf verweist der neue Bericht des Europäischen Parlaments ebenfalls mit Recht. Fast ein Jahr nach Beginn der Pandemie droht nun vielen Menschen europaweit der Wohnungsverlust, wenn staatliche Regelwerke nicht gut genug dagegen schützen. Eine Spirale in Richtung Prekarität und Obdachlosigkeit tut sich auf, wenn nicht massiv gegengesteuert wird. Und es geht nicht nur um den Schutz einzelner BürgerInnen vor Wohnungsverlust, das Europäische Parlament greift auch die Fragen der Spekulation, der touristischen Nutzungen und der Geldwäsche, die die Lage auf den Wohnungsmärkten weiter verschärfen, auf.

Durch die Corona-Krise erhielt die Frage des leistbaren, sicheren und gesunden Wohnens eine noch stärkere Bedeutung. Ein Lob für das österreichische Modell des gemeinnützigen Wohnbaus kam übrigens kürzlich von der OECD – es sei nicht nur ausgewogen und erlaube soziale Durchmischung, sondern es habe sich vor allem krisenfester als andere erwiesen. Und das Wiener Modell des sozialen und leistbaren Wohnens ist – bei allen Herausforderungen, vor denen auch die Bundeshauptstadt steht – immer wieder Bezugspunkt, wenn es um Verbesserungen in anderen Städten und Ländern oder der EU geht. Wie eben zuletzt bei Frans Timmermans.

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