Was hat die EU mit dem leistbaren Wohnen zu tun?

10 Fragen – 10 Antworten von Michaela Kauer

Warum ist das Wohnen in ganz Europa für so viele Menschen viel zu teuer? Was hat die EU eigentlich damit zu tun?


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Frage: In ganz Europa wird das Wohnen immer teurer, die Rede ist von einer europäischen Wohnungskrise. Heute haben drei von vier Europäer*innen Angst, sich das Wohnen nicht leisten zu können. Was hat die EU eigentlich damit zu tun?

Michaela Kauer: Viele Menschen wissen nicht, dass die EU viel mehr tun könnte, um soziales und leistbares, auch klimafreundliches und nachhaltiges Wohnen zu fördern. Wohnen ist zwar eine Aufgabe der Nationalstaaten, in Österreich sogar der Bundesländer und Gemeinden. Aber EU-Regeln haben starken Einfluss darauf, wie wir vor Ort das Wohnen für alle organisieren und finanzieren. Hier geht es v.a. darum, dass Städte und Regionen mehr in den Neubau und die Sanierung von sozialen und leistbaren Wohnungen investieren können.


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Frage: Seit der globalen Finanzkrise sind EU-weit die Investitionen für soziales und leistbares Wohnen um fast 60 Milliarden Euro pro Jahr gesunken, obwohl wir mehr neue Wohnungen brauchen. Wie kann die EU hier helfen?

Michaela Kauer: Ein Grund ist, dass Investitionen in Infrastruktur auf der Schuldenseite der öffentlichen Budgets landen. Das liegt an den Defizitkriterien der EU. Verschärft wird das noch durch das Beihilfenrecht der EU – hier wird geregelt, dass soziales Wohnen nur für die ärmsten und besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen unterstützt werden darf. Beides verhindert, dass in ganz Europa mehr fürs leistbare Wohnen getan werden kann, obwohl die Wohnungskrise inzwischen weite Teile der Bevölkerung trifft. Vor kurzem haben das auch die Wohnbauminister*innen der EU in einer Erklärung angesprochen.


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Frage: Wie wirkt sich das konkret aus?

Michaela Kauer: In Ländern, in denen es nur wenig soziales, kommunales oder gemeinnütziges Wohnungsangebot gibt, ist das katastrophal für die Menschen. Entweder stehen sie jahrzehntelang auf Wartelisten und müssen in ungesunden, überteuerten und viel zu engen Wohnungen leben. Oder sie suchen sich etwas Günstigeres im Umland ihrer Gemeinde, müssen dann stundenlang pendeln und haben viel zu wenig Zeit für sich und ihre Familien. Im Gegensatz dazu sehen wir in Wien, dass ein breites kommunales, genossenschaftliches Wohnungsangebot sich preisdämpfend auf den Gesamtmarkt auswirkt.


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Frage: Wie sieht das für die jungen Menschen aus?

Michaela Kauer: Ganz schlimm ist, dass fast ein Viertel aller jungen Erwachsenen in Europa noch bei den Eltern lebt, mit vielen negativen Folgen. Wer will schon ewig im früheren Kinderzimmer leben? Da gibt es mentale Belastungen, aber auch das Thema, wann kann ich ausziehen, eine Familie gründen? Es verhindert auch, dass junge Menschen die Ausbildung machen, von der sie träumen – in Mailand etwa teilen sich Studierende nicht nur eine Wohnung, sondern ein Bett, und das um 800 Euro im Monat!


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Frage: Was bedeutet es aus frauenpolitischer Sicht?

Österreich ist noch immer ein Schlusslicht bei den Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern

Michaela Kauer: Wir haben europaweit eine Einkommensdifferenz von 13 Prozent zwischen den Geschlechtern, und fast 40 Prozent bei den Pensionen. Die Leistbarkeit des Wohnens hat also eine klare Gender- und Altersdimension. Die Teuerung und die hohen Energiekosten tun ihr Übriges dazu. Sehr hart trifft es ältere Frauen, die mit einer kleinen Pension leben müssen. Alleinerzieherinnen müssen immer öfter zwischen einer warmen Mahlzeit für die Kinder oder einer warmen Wohnung entscheiden. Und viele Frauen bleiben in Beziehungen mit gewalttätigen Partnern, weil es – anders als in Wien – weder Frauenhäuser noch andere Möglichkeiten gibt.


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Frage: Was sind da eigentlich die Folgen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt?

Michaela Kauer: Die Teuerung und die gestiegenen Energiekosten haben die Lage am Wohnungsmarkt noch weiter verschärft. Es gibt in der Bauwirtschaft massive Lieferschwierigkeiten, gleichzeitig klagen Firmen schon, dass wegen des Mangels an Wohnraum kein Personal finden. Insgesamt ist es ja auch ökonomisch nicht sehr klug, wenn die Menschen so viel für das Wohnen ausgeben, dass sie sich dann sonst nichts mehr leisten können.


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Frage: Wir hören immer wieder von globalen Investoren, die die Wohnungsmärkte ins Wanken bringen. Was kann da dagegen unternommen werden?

Michaela Kauer: In vielen Städten wissen die Bewohner*innen nicht mehr, wem eigentlich das Haus gehört, in dem sie wohnen. Das hat viel damit zu tun, dass Wohnen immer mehr zum Spielball globaler Investmentfonds geworden ist. Oft entnehmen sie Gewinne, ohne ihren Anteil an Steuern zu zahlen, immer häufiger kommt es auch zu krimineller Geldwäsche. Die EU muss hier ein Transparenzregister für solche Immobilientransaktionen einrichten.


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Frage: Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Gebäudebestand in ganz Europa saniert werden. Die Häuser müssen energieeffizienter werden, die Energie, die in die Häuser kommt, muss weg von fossilen Brennstoffen. Was tut sich auf europäischer Ebene, um das zu erreichen?

Michaela Kauer: Es gibt ja den europäischen Green Deal mit vielen Maßnahmen, etwa auch der großen Renovierungsstrategie. Viele Städte haben dazu eigene Programme aufgelegt, wie Wien mit der „Hauskunft„. Ganz wichtig ist aber, dass die Menschen sich nach der Renovierung das Wohnen weiter leisten können. Daher war es wichtig, mehr Mieterschutz in der EU-Richtlinie für die Energieeffizienz in Gebäuden zu verankern.


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Frage: Was muss also unbedingt auf europäischer Ebene geschehen, damit gutes Wohnen für alle möglich wird?

Michaela Kauer: Wir brauchen einen Kurswechsel und die EU – v.a. die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten – muss einen Schutzschirm aufspannen! Unterstützung beim Wohnen wird auf europäischer Ebene, und leider oft auch national, als Charity für die Armen, nicht als Menschenrecht für alle gesehen, während gleichzeitig große Investoren prima Steuergeschenke bekommen, oft auf Kosten der Steuerzahler*innen. Das muss sich ändern.


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Michaela Kauer: Frage: Worauf bist du besonders stolz, wenn du an deine Arbeit in diesem Bereich denkst?

Als Wienerin, die in Brüssel lebt und viele andere Städte und Länder kennt, bin ich besonders stolz darauf, wie in Wien seit über 100 Jahren Wohnungspolitik gemacht wird. Wir werden dafür oft bewundert und beneidet, denn es ist einzigartig, dass in einer Stadt niemand aufgrund der Adresse benachteiligt wird. Ich freue mich immer, wenn ich das mit anderen teilen darf, noch mehr, wenn wir ein bisl mehr vom Wiener Weg in der Wohnungspolitik nach Europa bringen. Da ist uns schon viel gelungen, denn immer mehr wird unter dem Motto „Housing for the Common Good“ nun in Europa die Idee der Wohnungsgemeinnützigkeit aufgegriffen, die ist gut für die Menschen und den Planeten.

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