Wohnen für das Gemeinwohl: Echte Lösungen für die Vielen

Dieser Artikel erschien im Februar 2024 im Magazin für sozialdemokratische Kommunalpolitik DEMO erschienen.

Im Juni 2024 entscheiden die Bürgerinnen und Bürger der EU über den Kurs, den Europa – auch in der Wohnungspolitik – in den kommenden Jahren nehmen wird. Wenn also die Parteien im Frühjahr mit ihren Kampagnen beginnen, darf das Thema Wohnen aus mehreren Gründen nicht fehlen. Wien mit seiner seit über 100 Jahren nahezu ununterbrochenen Wohnungspolitik ist ein Vorbild, wenn es um eine Strategie geht, die Wohnen als Menschenrecht sieht und das Gemeinwohl ins Zentrum aller Maßnahmen setzt.


2024 ist das Jahr, in dem erneut die Weichen auf europäischer Ebene gestellt werden, die entscheiden, in welche Richtung die Europäische Union ihren Kurs, nicht zuletzt für leistbares Wohnen für alle, setzen wird. Das Europäische Parlament wird im Juni gewählt, im Herbst/Winter konstituiert sich dann die neue Europäische Kommission. Das Frühjahr bietet sich also an, ein starkes Signal für leistbares Wohnen in Europa, für eine Wohnungspolitik, die dem Gemeinwohl dient, auszusenden. Nur so kann sichergestellt sein, dass die EU in der neuen Mandatsperiode einen starken Schutzschirm vor Spekulationen in den europäischen Wohnungsmärkten aufspannt und eine Offensive für mehr öffentliche Investitionen ins leistbare Wohnen für ihre Bevölkerung startet, gerade auch aus kommunalpolitischer Sicht.


Das Thema Wohnen bewegt alle, in ganz Europa

Sicheres, gesundes, angemessenes Wohnen ist für viele Menschen in den vergangenen Jahrzehnten in Städten und Regionen in ganz Europa oft unbezahlbar geworden, ganz besonders für die Frauen aufgrund der Einkommensnachteile bei Gehältern und Pensionen; das Thema ist inzwischen immer häufiger wahlentscheidend. Gelernte Eurokrat*innen wissen, Wohnen ist keine Kompetenz der Europäischen Union, vielmehr liegt die Ausgestaltung der Wohnungspolitik im Sinne der Subsidiarität bei den Mitgliedstaaten. Das ist aber der jungen Angestellten in Barcelona, die noch bei ihren Eltern lebt, weil sie angesichts einer Überflutung mit Airbnb keine bezahlbare Wohnung findet, völlig egal, genauso wie dem Paar in Rente in Berlin, die nicht mehr wissen, wem eigentlich ihre Wohnung gehört, der Familie aus Bratislava, die mit ihren Kindern über die Grenze in ein österreichisches Dorf zieht, weil es in der slowakischen Hauptstadt zu teuer ist. Sie alle wollen und brauchen Lösungen vor Ort, dort, wo ihre Familien und Freund*innen, ihre Jobs sind.

Immer häufiger haben daher in den vergangenen Jahren Bürger*innen, häufig Seite an Seite mit den Mieterschutzorganisationen, die Wohnungsnot artikuliert, durch Bürgerinitiativen, Referenden, Protestaktionen bis hin zu Hausbesetzungen. Oft ging es um den Schutz vor Gentrifizierung und spekulativem Leerstand, oft um die unkontrollierte Höhe der Mieten und den Ausverkauf öffentlichen Wohnungsbestandes. Und weil inzwischen durch die Finanzialisierung der Wohnungsmärkte die Besitzverhältnisse so undurchsichtig geworden sind, dass Mieter*innen nicht mehr wissen, wem die Wohnung gehört, in der sie leben, suchen sie Hilfe und Rat bei ihren Bürgermeister*innen. Die haben getan, was ging, wie wir in der Corona-Pandemie und später bei der Teuerungs- und Energiekrise gesehen haben, mit viel Mut zu harten Interventionen, aber noch mehr unter Einsatz ihrer Sozialbudgets. Dabei wurde allerdings wieder deutlich, dass die Handlungsfähigkeit von Städten und Regionen durch nationale Gesetzgebung definiert, oft eingeschränkt ist, wobei einen nicht unwesentlichen Anteil das Regelwerk der EU hat, der, wann, wenn nicht jetzt, in den Kampagnen zur Europawahl angesprochen werden muss.


Wohnen als Menschenrecht

Sicher hat der europaweite, ja globale Schulterschluss von Bürger*innen, Politiker*innen aus Städten und Regionen, Akteur*innen des sozialen und leistbaren Wohnbaus, den Mieterschützer*innen, der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, Wissenschaft und Forschung dazu geführt, dass seit einigen Jahren – endlich! – bei den EU-Institutionen dem Thema Wohnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ebenso sicher hat die Europäische Kommission die Stimme der anderen EU-Organe, vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Parlament gehört, die Maßnahmen gegen die Wohnungskrise einmahnen. Und ganz sicher hat die Erkenntnis, dass die Klimaziele nicht ohne die Städte und Regionen erreicht werden können, gerade im Bereich der Sanierung des Gebäudebestands, geholfen, einiges in Bewegung zu bringen.

Das Thema Wohnen ist eines, an dem sich ganz klar herausarbeiten lässt, wohin die Reise in der EU gehen kann. Denn: Wohnen als Menschenrecht abzusichern bedeutet, nicht nur an einzelnen kleinen Schrauben zu drehen, hier ein wenig etwas für behinderte Menschen oder Alleinerziehende zu tun, da ein paar Programme für Obdachlose und Flüchtlinge aufzusetzen, während gleichzeitig bei der großen Renovierungswelle des Gebäudebestands der Schutz und die Rechte der Mieter*innen „vergessen“ werden. Es erfordert vielmehr einen grundlegenden Wechsel in der Denkweise: Wohnen muss dem Gemeinwohl dienen, also in den Kontext einer gerechten, nachhaltigen und produktiven Stadtentwicklung eingebettet sein[1]. Unter dieser Prämisse ließen sich das Wettbewerbsrecht, wie jüngst von den EU-Wohnbauminister*innen[2] gefordert, so gestalten, dass Wohnen für breite Bevölkerungsschichten gefördert wird, langfristige öffentliche Investitionen in der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU erleichtern und Mittel der EU und Finanzierungen der EIB direkt und gezielter Städten und Regionen zukommen lassen.

Wien liefert die Blaupause für Mut in der Wohnungspolitik

Eine Stadt sticht heraus, wenn es um soziales und leistbares Wohnen geht, das für die Bürgerinnen und Bürger funktioniert: Wien, das über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg eine Vorreiterrolle in der Wohnungspolitik gespielt hat. Die Stadt hat in den Jahren nach dem Finanzcrash weiter antizyklisch investiert und neue Wohnungen gebaut, was zusammen mit anderen Maßnahmen wie dem beitragsfreien Kindergarten für alle Kinder bis zur Grundschule enorme Erleichterungen für Familien mit sich brachte, gleichzeitig die Kaufkraft erhöhte und so der Wirtschaft half – und nicht zuletzt auch Frauen mehr Chancen im Arbeitsmarkt eröffnete[3]. Mitten in der Covid-19-Pandemie begann die Stadt sogar mit dem Bau eines neuen städtischen Wohnkomplexes speziell für alleinerziehende Mütter und veranstaltete 2022 die „Internationale Bauausstellung„, die sich mit der künftigen Stadtentwicklung befasste. Als wachsende Stadt mit zwei Millionen Einwohner*innen hat sich die Wiener Regierung darüber hinaus verpflichtet, ihre Klimaziele bis 2040 zu erreichen, und beschleunigt die Renovierung ihres Gebäudebestands, um ihn energieeffizienter und unabhängig von Gas zu machen.

Heute lebt jede*r vierte Wiener*in in einer Gemeindewohnung und insgesamt etwa zwei Drittel (64%) der Bevölkerung wohnen in kommunalen, geförderten oder preisregulierten privaten Mietwohnungen[4]. Die österreichische Bundeshauptstadt ist wiederholt Spitzenreiter in Sachen Lebensqualität in weltweiten Rankings. Nicht nur die schiere Menge, vor allem die Vielfalt des Angebots an sozialem und leistbarem Wohnraum wirkt sich positiv dämpfend auf den Markt aus[5].

Was Wien in den mehr als 100 Jahren seines Engagements für den sozialen und leistbaren Wohnbau geleistet hat, ist keine Raketenwissenschaft. Es geht darum, institutionellen Investor*innen, Spekulant*innen und ausbeuterischen Vermieter*innen den Appetit zu verderben, indem man ihre Freiheit einschränkt, ihr eigenes Regelwerk zu schreiben. Wien stellt sicher, dass die Wohnungspolitik in ein solides Stadtentwicklungskonzept eingebettet ist und rundet dies mit Qualitätskriterien für den Neubau oder die Renovierung bestehender Wohnungen, eine strenge Kontrolle der Flächennutzung sowie den Schutz und die Stärkung der Rechte von Mieter*innen ab. Dies geht natürlich Hand in Hand mit einem starken Schutzschild, einem Rechtsrahmen, der sicherstellt, dass die Menschen nach der Sanierung des Gebäudes in ihrer Wohnung bleiben.

Europa muss einen starken Schutzschild für unsere Wohnungsmärkte bilden

Die junge Arbeitnehmerin in Barcelona, die immer noch in ihrem alten Kinderzimmer wohnen muss, sollte in den kommenden Monaten genauso wie das Berliner Rentnerpaar und die slowakische Familie in der österreichischen Gemeinde eine klare Botschaft für die Wahlen zum EP hören: Wohnen für alle leistbar, sicher und gesund zu gestalten, und es braucht einen starken Schutzschild gegen Spekulation. Dass können nur jene Parteien, ganz klar für mehr Vielfalt bei leistbaren Wohnformen, für nachhaltige Investitionen in Neubau und Sanierung, für Mut zu Eingriffen auf allen Ebenen des Regierens haben. Die anderen, die gegen mehr Transparenz bei touristischen Kurzzeitvermietungen, bei transnationalen Immobiliengeschäften, bei krimineller Geldwäsche stehen, die weiterhin institutionellen Investoren die Tür weit aufmachen, um in unseren Wohnungsmärkten rücksichtslos nach immer mehr Profit zu suchen, die sollten klar benannt werden. Denn das sind auch jene Kräfte, die immer wieder die Ärmsten der Armen beim Wohnen gegeneinander ausspielen, die Sozialwohnungen als Mitleidsgabe an jene, die es „wirklich verdienen“ vergeben, die Menschen stigmatisieren, wenn sie Hilfe in Anspruch nehmen, während weiterhin auf den Wohnungsmärkten fröhlich Gewinne gemacht und extrahiert werden, nicht zuletzt mit Mitteln der öffentlichen Hand.

Wohnen für das Gemeinwohl ist das Zukunftsprojekt für Städte und Regionen, für Staaten und für die Europäische Union. Es bringt uns soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit, indem es für eine gute, gesunde und sichere Wohnversorgung aller Bürger*innen sorgt, die Umwelt schützt und die öffentlichen Investitionen im System lässt. Anfang Juni sollten die junge Frau aus Barcelona, das ältere Ehepaar in Berlin und die slowakische Familie genauso wie viele andere wissen, wer dafürsteht, Europa zu einem sicheren Heim für alle zu machen. Und es müssen die Kommunalpolitiker*innen sein, die das einfordern; denn Europa fängt bekanntlich in der Gemeinde an.


[1] „Neue Leipzig Charta – Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl“; Informelles Treffen der EU-Minister*innen für Stadtentwicklung, 30.11.2020

[2] „Erklärung von Gijon – Housing for all in sustainable, healthy and inclusice built environments“, InformellesTreffen der EU-Minister*innen für Wohnbau und Stadtentwicklung, 14.11.2023

[3] Wachstumsfaktor Gleichstellung – Der ökonomische Nutzen von Gender Budgeting in Wien, Bachtrögler J., Bock-Schappelwein J., Eckerstorfer P., Huber P., Mayrhuber C., Sommer M., Streicher G., Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), im Auftrag des Magistrates der Stadt Wien, 2019

[4] Amann, Wolfgang in Österreichisches Wohnhandbuch 2022, Amann, W. und Struber, C. (Hg.), Wien, 2022, 19

[5] Die preisdämpfende Wirkung des gemeinnützigen Wohnbaus, Klien M., Huber P., Reschenhofer P. (WIFO), Gutheil-Knopp-Kirchwald G., Kössl G.(GBV), Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung – Österreichischer Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen, im Auftrag des Magistrates der Stadt Wien, Wien 2023

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